29.07.2021 Uhr
Kann das Potential von Instagram auch im Unterricht sinnvoll eingesetzt werden? "Ja!", meint Physiklehrer Herr Dr. Bronner, "die Chance sollte man sich als Lehrer*in nicht entgehen lassen!" Hier sein Plädoyer für einen sinnvollen Einsatz des sozialen Netzwerks - auch im Unterricht.
Soziale Netzwerke wie YouTube, Facebook, Twitter und Instagram sind in der Lebenswelt von jungen Erwachsenen zur Unterhaltung, für die Kommunikation und als Informationsquelle allgegenwärtig. In den letzten Jahren hat sich vor allem Instagram zu einem der beliebtesten Social-Media-Kanäle entwickelt: 72% der Jugendlichen nutzen die Plattform mindestens mehrmals pro Woche [1]. Kann das Potential von Instagram auch im Unterricht sinnvoll eingesetzt werden?
Instagram wird von Jugendlichen vor allem zur Verbreitung von selbst erstellten Fotos und kurzen Videos genutzt, die meist „Highlights“ aus dem eigenen Leben darstellen. Die erstellten Bilder und Videos können bearbeitet, mit Filtern versehen, um Text ergänzt und mit kreativem Storytelling verknüpft werden. Nach der Veröffentlichung des Beitrags über das eigene Instagram-Profil können Follower mit Likes und Kommentaren interagieren, den Post speichern und ihn durch das Teilen auf dem eigenen Kanal weiterverbreiten. Instagram hat sich inzwischen von der vorrangig für die private Kommunikation genutzten Bildersammlung zu einer öffentlich relevanten Informationsplattform gewandelt.
Natürlich gibt es auch Kritik an der Social-Media-Plattform: die Oberflächlichkeit der Beiträge, die Flut an oft inszenierten Bildern, die Verbreitung von Fake-News, dem mangelnden Datenschutz durch den US-Anbieter, die Gefahr des Cybermobbings und die allgegenwärtige Werbung.
Gleichzeitig wird das Potential von Instagram aber immer mehr im Bildungsbereich eingesetzt: Journalistische Kanäle wie zum Beispiel @quarks.de (1 Million Abonnenten) des WDR beantworten wissenschaftliche Fragen mit Hilfe von hochwertigen Grafiken, Bilderserien und animierten Videoclips. Geschichte wird z. B. bei @ichbinsophiescholl (890.000 Abonnenten) des SWR lebendig gemacht. Die Follower des Kanals können an den letzten zehn Monaten des Lebens der Widerstandskämpferin in nachempfundener Echtzeit teilnehmen. Und auch das klassische Format der Tagesschau ist bei Instagram zu finden. Innerhalb des Kanals @tagesschau (3,2 Millionen Abonnenten) der ARD werden Nachrichten, Fakten und Geschichten in Bilderserien, kurzen Videoclips, Zitate und Kommentaren aktuell und allgemein verständlich zugänglich gemacht.
Wie kann das Potential von Instagram im Bereich der schulischen Bildung sinnvoll eingesetzt werden?Zunächst sollte im Klassenzimmer eine kritische Auseinandersetzung über die Erfahrungen der Schüler*innen sowie über die Chancen sowie Gefahren im Umgang mit der Social-Media-Plattform erfolgen. Auf Grundlage dieses Hintergrundwissens können Instagram-Beiträge zur Diskussion im Deutschunterricht [2], zur politischen Bildung [3], zur Berufsorientierung [4] oder für naturwissenschaftliche Fragestellungen sinnvoll eingesetzt werden.
Noch wirkungsvoller lässt sich Instagram im Bereich der schulischen Bildung verwenden, wenn Lernprodukte aus dem Klassenzimmer über den Social-Media-Kanal der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Anstatt eines langweiligen mündlichen Referats vor Mitschülern oder der Produktion des zwölften Erklärvideos könnte die Ausarbeitung einer aussagekräftigen Instagram-Bilderserie eine neue Präsentationsmethode für fachliche Inhalte darstellen. Die Ergebnispräsentation sollte dabei auch den Austausch mit der Instagram-Community durch angemessene sowie fachlich präzise Antworten auf mögliche Kommentare beinhalten.
Ist der Einsatz von sozialen Medien im Unterricht überhaupt erlaubt? Das hängt vom Schulgesetz des jeweiligen Bundeslandes ab. Lehrer*innen in Baden-Württemberg dürfen zum Beispiel bereits vorhandene Social-Media-Accounts von Schüler*innen auf freiwilliger Basis im Unterricht einsetzen [5]. Dies gilt allerdings nur, wenn dabei keine personenbezogenen Daten übermittelt werden. Dagegen ist es rechtlich nicht zulässig Lernende im Unterricht zu verpflichten eigene Accounts in sozialen Netzwerken anzulegen.
Von der Theorie geht es nun in die Schulpraxis. Schüler*innen des dreistündigen Physikkurses der Kursstufe 1 am Friedrich-Gymnasium Freiburg sollten im Rahmen einer Projektarbeit einen kreativen und inhaltlich reduzierten Instagram-Beitrag als Übersicht zum elektromagnetischen Spektrum erstellen.
Am Anfang der Projektarbeit wurden im Unterricht zahlreiche Fragen erörtert: In welcher Form lassen sich komplexe Themen in plattformgerechte Formate aufbereiten? Wie können Informationen präzise, knapp und dabei richtig formuliert werden? Mit welchen Elementen erreicht man eine ästhetisch hochwertige Gestaltung der Kacheln? Welche Programme eigenen sich zur Produktion der Endprodukte? Wie müssen Urheberrechte und die Persönlichkeitsrechte berücksichtigt werden?
Das endgültige Format des Lernprodukts wurde bewusst offengehalten: Die Unterteilung des physikalischen Spektrums in einzelne Bereiche und die Anzahl der Kacheln pro Spektralbereich konnten frei gewählt werden.
Im Rahmen des Projekts arbeiteten die Schüler*innen über zwei Wochen mit digitalen Medien zeit- und ortsunabhängig. Das vorgegebene Ziel war die Abgabe der Bilder-Serien zunächst datenschutzkonform über die schulische Nextcloud.
Nach der Vorstellung der ersten Arbeitsergebnisse wurde deutlich, dass die Einhaltung des Urheberrechts von fremden Bildern, die korrekte Quellenangabe bei Creative-Common-Lizenzen und die vollständige Nennung der verwendeten Textquellen oft unvollständig bzw. fehlerhaft war. Die Wichtigkeit dieser Themen wurden in einer erneuten Instruktionsphase betont.
Am Ende des Projekts sollten die Bilderkacheln in einem schuleigenen Physik-Instagram Kanal durch ein sogenanntes „Takeover“ von den Schüler*innen präsentiert werden. Dabei übernimmt jeder Lernende den Instagram-Account der Schule für eine begrenzte Zeit, postet seine Beiträge und interagiert unter Aufsicht mit den Kommentaren.
Die meisten Schüler*innen haben ihre Beiträge auf freiwilliger Basis sofort in ein eigenes Instagram-Profil im Modus „privat“ integriert und konnten so die Wirkung der Kacheln und Texte live testen und verbessern. Auf die Methode des „Takeovers“ wurde vor diesem Hintergrund schließlich verzichtet.
Für eine transparente Notenvergabe bei einer Projektarbeit dient ein Erwartungshorizont. Dieser gibt den Lernenden während der eigenständigen Erarbeitungsphase Orientierung und enthält objektive Bewertungskriterien. Im Rahmen des Physikprojekts wurde der Erwartungshorizont zunächst von den Schüler*innen in Dreiergruppen selbst erarbeitet. Nach der Präsentation und dem Vergleich der verschiedenen Herangehensweisen erfolgte auf Basis der Vorschläge eine Zusammenfassung für eine kriterienorientierte Bewertung durch den Physiklehrer.
Der finale Erwartungshorizont wurde für die Methode der gegenseitigen Schüler-Rückmeldung (Peer-Feedback) in ein datenschutzkonformes Live-Feedback-Formular integriert. Das Peer-Feedback in Freiarbeit scheiterte jedoch, da zum individuellen Betrachten eines beliebigen Instagram-Kanals im Modus „privat“ ein eigener Benutzeraccount zum Abonnieren des zu bewertenden Kanals erforderlich ist. Nicht alle Schüler*innen hatten einen eigenen Instagram-Account bzw. wollten ihren privaten Account nicht für schulische Zwecke nutzen. Schließlich hat jeder Lernende die Inhalte des eigenen Kanals frontal präsentiert. Die Mitschüler*innen konnten im Anschluss ihre Bewertung zeitgleich in das jeweilige Online-Formular eingegeben.
Neben der Rückmeldung aus dem Peer-Feedback erhielten die Lernenden schließlich eine Lehrer-Note, die mit dem Erwartungshorizont schriftlich begründet wurde. Mit Hilfe des Schüler- und Lehrer-Feedbacks haben einige Schüler*innen ihre schulischen Instagram-Kanäle verbessert und mit Erlaubnis des Physiklehrers und der Eltern öffentlich zugänglich gemacht.
Zur Förderung der Interaktion mit der Instagram-Community wäre es spannender gewesen eine naturwissenschaftliche Fragestellung zu wählen, die derzeit in sozialen Medien kontrovers diskutiert wird. Ein authentisches und in der Region Freiburg derzeit vielbeachtetes Thema wäre „Der neue Mobilfunkstandard 5G: Chancen und Risiken“ gewesen. Im Rahmen der Methode des „Takeovers“ des Instagram-Kanals könnten Schüler*innen wöchentlich auf einzelne naturwissenschaftliche Aspekte zum Thema eingehen. Bei einem solchen Format würden zahlreiche Personen antworten – es könnte aber auch sehr schnell ein unkontrollierter „Shitstorm“ entstehen. Gerade für erste Unterrichtserfahrungen mit Instagram wurde auf eine solch öffentliche Auseinandersetzung bewusst verzichtet.
Die Diskussion des Themas „Mobilfunk 5G“ wird trotzdem nach den Sommerferien im Physikunterricht mit einem Referenten der lokalen Bürgerinitiative im geschlossenen Rahmen des Klassenzimmers erfolgen.
Bei der Integration von sozialen Medien in den Unterricht können Lehrer*innen ganz bewusst ihre Rolle vom Lehrenden zum Lernenden wechseln und die Expertise von Schüler*innen als Impulsgeber in den Unterricht situationsgerecht einbinden. Zur Durchführung einer Projektarbeit im Unterricht müssen Lehrer*innen nicht zwingend einen eigenen Instagram-Account besitzen und hier wöchentlich Bilder, Meinungen und Texte aus ihrem persönlichen Leben posten.
Nützlich ist es allerdings, wenn sich die Lehrenden mit den Mechanismen, Gefahren und Chancen von sozialen Netzwerken auskennen und dadurch einen möglichen „Takeover“-Kanal professionell betreuen können.
An Schulen wird die Nutzung von Social-Media-Plattformen im Klassenzimmer oftmals sehr kontrovers diskutiert. Trotz der Ablenkungsgefahr und weiterer Risiken bietet Instagram bei tagesaktuellen Themen für den Unterricht mit digitalen Medien ein großes Potential.
Noch wirkungsvoller lässt sich die Plattform in den Unterricht einbinden, wenn Schüler*innen vom passiven Konsumenten zum aktiven Produzenten z. B. einer eigenen Bilderserie werden. Die Lernenden zeigen bei einem solchen Arbeitsauftrag eine hohe Motivation, die vor allem durch die Kombination aus ästhetischer Gestaltung und dem fachlichen Inhalt begründet wird. Nebenbei erleben die Schüler*innen bei einer Projektarbeit einen hohen Grad an Handlungsorientierung, Kreativität und Selbstbestimmung.
Auch die Medienbildung wird durch die intensive Auseinandersetzung mit den Quellenangaben im eigenen Beitrag gefördert - eine wichtige Grundlage für Schüler*innen, um später Fake News einfacher zu identifizieren.
Instagram im Unterricht? Die Chance sollte man sich als Lehrer*in nicht entgehen lassen!
Literatur:
[1] Medienpädagogischer
Forschungsverbund Südwest (2020):
JIM-Studie 2020: Jugend, Information, Medien.
https://www.mpfs.de/fileadmin/files/Studien/JIM/2020/JIM-Studie-2020_Web_final.pdf
[Abruf: 24.07.2021].
[2] Blume, B. (2018):
Blogbeitrag: Instagram im (Literatur-) Unterricht.
https://bobblume.de/2018/07/27/unterricht-instagram-im-literaturunterricht/
[Abruf: 24.07.2021]
[3] Kümpel, A. & Rieger,
D. (2020):
Themenheft der Konrad-Adenauer-Stiftung: Kann Instagram auch Politik?
https://www.kas.de/de/einzeltitel/-/content/kann-instagram-auch-politik
[Abruf: 24.07.2021]
[4] Kalt, A. (2019):
Blogbeitrag: Berufsorientierung für Schüler/innen mit Instagram
https://rete-mirabile.net/lernen/berufsorientierung-schueler-instagram/
[Abruf: 24.07.2021]
[5] ZSL Baden-Württemberg
(2018):
Soziale Netzwerke und Schule.
https://lehrerfortbildung-bw.de/st_recht/daten/ds_neu/soziale_netze/
[Abruf: 24.07.2021]
Dr. Patrick Bronner
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